Montag, 12. Januar 2015

Gespräche mit Jennifer Laurette

Ich habe eine Freundin, die Literatin ist. Oder es eines Tages werden wird. Sie liest Bücher, bei denen Dinge wie Plotpoints, Handlungsdiagramme oder Happy Ends marginal sind, bei denen es um andere Dinge geht. Dinge, die ich beim Lesen mitunter liebe und die mich so tief berühren, dass ich nach einem Buch erst mal drei bis fünf Monate genug von solchen Büchern habe. Diese Freundin heißt Jennifer Laurette, allein der Name ist schon Musik. Und sie schreibt ... berückend. Wenn sie es tut. Denn sie lässt ihre Texte sehr lange in sich reifen.

Jennifer Laurette ist jünger als ich. Ich beneide sie darum, wenn ich ehrlich bin. Das Silberspray in den langen, dunklen Haaren, ihr wisst schon. Jung sein ist cool. Jetzt gerade ist sie unterwegs im Ausland und lässt sich treiben, lernt, beobachtet, lebt und sammelt Impulse. Eines Tages werden daraus großartige Geschichten werden. Ich glaube fest an sie.

Jennifer Laurette beneidet mich auch ein bisschen, glaube ich. Darum, dass ich bereits Bücher veröffentlicht habe. Darum, dass ich bei unseren Schreibtreffs immer so selbstgerecht über den Buchmarkt und seine Anforderungen und guten Stil und Stufendiagramme und so schwadroniere. Na ja, wahrscheinlich beneidet sie mich darum nicht wirklich, ich würde andere darum auch nicht beneiden. Aber ich stelle mir gern vor, dass der Neid nicht nur in eine Richtung geht. Denn Jennifer Laurette hat etwas, woran es mir fehlt. Oder zumindest etwas, worauf ich in letzter Zeit meinen Schreibfokus nicht so stark gesetzt habe, weil ich andere Dinge gelernt habe: Tiefe und Vielschichtigkeit.

Sie mochte mein erstes Buch. Nicht, weil es darin um Erotik ging, nackte Haut, Peitschen oder sonstwas, und auch nicht so ganz, weil es ein Entwicklungsroman war. Sie hat etwas darin gesehen, was mir selbst gar nicht so bewusst gewesen war. Die tieferen Ebenen. Die Tatsache, dass es ein Roman über Masken war und darüber, dass die größte Maske das ist, was wir für unser wahres Ich halten. Diese ganzen Nuancen und Schichten, die ich in vielen Überarbeitungsdurchgängen hineingewoben hatte, ohne es wirklich zu merken, und als sie mich darauf hinwies, war ich bass erstaunt. Denn das waren Überlegungen gewesen, die ich mir ganz am Anfang gemacht hatte, lange bevor ich mich wirklich mit Fragen des Plottings und der Erzählperspektive und Körperteilen auf Körperöffnungen auseinandergesetzt hatte.

Jennifer Laurette ist der Stachel in meinem Fleisch. Ihre bloße Existenz erinnert mich daran, dass es beim Schreiben nie wirklich nur um Plotlines, Happy-Ends, Charakterentwürfe, Spannungsbögen und unerwartete Wendungen gehen wird. Auch nicht nur um nackte Haut, Liebe, Sehnsucht, Verlangen und die Erlösung nach den Hindernissen, die erst ganz am Ende kommen soll. Schreiben ist mehr. "Tauch ab", sagte Jennifer Laurette bei unserem letzten Treffen. "Der erste Satz ist gut. Der letzte auch. Aber das dazwischen ... Das hat keine Tiefe, das hat nichts mehr mit dem zu tun, worum es geht." Sie machte eine Handbewegung und sah mich an. "Verstehst du mich?"

"Nicht wirklich", gab ich zu und lauschte konzentriert. "Aber ich möchte es."

Und sie versuchte es. Ich hörte zu. Wieder zu Hause holte ich mein nächstes Buch raus, das im Februar erscheint, und las meine Korrekturfahne es unter diesem Aspekt noch mal. Ich bekam Gänsehaut. Ja, das Buch hat SM-Szenen, die hart sind und sich im Lauf des Romans steigern, er hat Liebe, Weiterentwicklung und ein Happy End. Aber zwischen den Zeilen ... Da habe ich den Tod gespürt. Die Verzweiflung, wenn man das Gefühl hat, dass nur eine dünne Schicht zwischen einem selbst und der Wirklichkeit bleibt, und die Wirklichkeit ist eiskalt. Voll Wahnsinn. Deswegen schmeißt man sich in die Arme eines anderen Menschen, um beim Pochen seines Pulses ...

Oder bilde ich mir das nur ein? Der Tod war tatsächlich die erste Frage, die ich mir beim Plotten gestellt habe. Bzw. die Frage, warum Menschen Sex haben. Liebe reicht mir als Grund nicht, das kommt in der Literatur zu oft vor. Ich glaube, dass man manchmal auch einfach Sex hat, um den Tod zu besiegen. Für ganz, ganz kurze Zeit jedenfalls. Und manchmal tanzt man, um ihn zu besiegen.

Ob irgendjemand das in meinem Buch finden wird? Oder ist es ein reines Wichsbuch und die Leute werden bei ihren Eindrücken danach gehen, ob es diese Funktion erfüllt?

"Das Cover ist schön, aber dein Buch passt überhaupt nicht dazu", sagte Jennifer Laurette zu meinem ersten Buch. Und statt dass ich mich wirklich auf das Erlernen der Gesetze der Genreliteratur konzentrieren kann, bleiben Jennifers große, dunkle Augen als Stachel in mir zurück und fragen mich immer wieder, was ich tue. Warum. Und wo die Tiefe ist.

Ich sehne mich nach den Büchern, die sie eines Tages schreiben wird. Aber gleichzeitig habe ich Angst davor.

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